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Narzisstisches Dilemma auflösen, der Weg raus aus der Einbahnstraße

Narzisstisches Dilemma auflösen, der Weg raus aus der Einbahnstraße

„Ich erkenne mich selber nicht mehr“, mit diesem Satz stellte sich ein neuer Klient bei mir vor. Er versteht seine Welt nicht mehr. Die Freundin hat nun das x-te Mal mit ihm Schluss gemacht, den schon öfters erwähnten und quasi vereinbarten respektvollen Umgang hiernach „tritt sie mit Füßen“, stellt sie doch direkt Bilder mit dem Neuen auf Instagram ein. Die Beziehung zu ihr beschreibt er als toxisch, wellenförmige Phasen von überbordenden Liebesbekundungen und totaler Ablehnung „von der Ex“, im Quartals-Rhythmus.

Der Klient, 48, groß gewachsen, sicheres Auftreten, wortgewandt, steht mit beiden Beinen im beruflichen Leben. Das Verhältnis zu seiner Noch-Ehefrau und den beiden Kindern ist in den 2 Jahren seit der Trennung stabilisiert, es herrscht ein versöhnliches Miteinander, die Dinge sind geklärt, so scheint es. Die Trennung ging von ihm aus, er wollte sich noch mal spüren, das Hamsterrad verlassen, beschreibt es als eine typische Midlife-Crisis, in der er den „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“ seiner Jugend wiederbelebt hatte. Engagiert in Kultur und Sport blüht er auf, lernt die Freundin kennen.

Er beschreibt sich beruflich als einer, „der sagt wo es lang geht“, die Richtung vorgibt, ein echter Leistungsträger, der keine Widerrede duldet. Unter dem Deckmäntelchen von Gerechtigkeit, diskutiert er vermeintlich sachlich, verbeißt sich und treibt sein Gegenüber, egal welcher Stellung, auch schon mal in die Enge, was zu beruflichen Konflikten führt, die er aber gut aushält. Im gleichen Atemzug beteuert er, dass er auch eine weiche Seite habe, er kuschelt gerne.

Er hat immer Gas im Job gegeben, verlassene Familie und neue Freundin, allen will er unbedingt gerecht werden, fühlt sich für alle und alles verantwortlich, neben 12 Stunden Arbeitstagen. Der daraus massive, fast tödliche, körperliche Zusammenbruch vor einem Jahr hat ihn kurz geerdet, aber nicht wirklich sein Leben ändern lassen, nachdem er wieder auf den Beinen war.

In den ersten Sitzungen ist er aufgewühlt, sucht nach Orientierung, spielt zahlreiche Sprachnachrichten ab, um sein Dilemma zu unterstreichen, dass er nicht versteht, warum die Ex-Freundin so mit ihm umgeht. Er hätte immer alles gegeben, fühlt sich verletzt, leer, weggeworfen und ist „end-täuscht“. Er möchte von ihr wegkommen, greift zugleich seine alte Strategie der Ablenkung durch Ausgehen direkt wieder auf, eine neue Bekannte ist schon gefunden. Aber so richtig loslassen kann er noch nicht, wählt stets den persönlichen Kontakt. Als einer der immer alles gerne unter Kontrolle hat, ist er sich sicher, die Begegnungen und Kontakte mit der „Ex“ gut auszuhalten, möchte ihr gegenüber cool rüberkommen, bricht aber seelisch zusammen, als diese ein persönliches Geschenk an ihn vereinnahmt und entfremdet. Er ist empört, aufgewühlt, zutiefst verletzt. Diese Ohnmacht hat ihn motiviert, sich externe Unterstützung zu holen, eine beeindruckende Entscheidung für einen „Machertyp“.

Wie kann es also sein, dass ein erfolgreicher Manager, der seine Familie verlässt, um nochmal zu leben, plötzlich auf der emotionalen Ebene so manipulier- und zu tiefst verletzbar ist?

Als mittleres von 3 Kindern wächst er in den 1960er Jahren im Münsterland auf. Der Sohn einer jungen Mutter, der Vater sehr viel älter, dies ist dessen dritte Ehe. Vater ein Kriegsveteran, der seine erste Frau verloren und viel Leid erlebt hat. Zur 2. Frau, nebst 3 Kindern, gibt es keinerlei Kontakt, ein Tabu-Thema. Wohl situiert und angesehen, regiert der Vater mit einer Strategie aus Gefühllosigkeit und Härte, für die er sich seinerzeit entschieden hat, um vermutlich seine eigenen Schicksalsschläge zu ertragen. Es herrscht ein hartes Regime, Aufmerksamkeits- und Liebesentzug statt Reden, stehen auf der Tagesordnung. Die Antwort des Teenagers ist, nicht zu lernen, die Nächte durchzufeiern, teils unter Brücken zu schlafen, um sich dem strengen Vater zu entziehen. Die Rebellion ist sein hilfloser Versuch, die fehlende Aufmerksamkeit und Liebe des Vaters zu erlangen. Sanktionen und Aufbegehren spitzen sich zu. Es folgen gerichtliche Schritte des Sohnes, weil Vater die Lohntüte des Minderjährigen einfach an sich nimmt. Oma und die Familie der damaligen Freundin nehmen ihn auf, geben Wärme und Liebe, die er vom Vater ersehnt.

Der Klient sagt, dass ihn diese Erfahrungen „gestählt“ hätten; fortan nimmt er sein Leben selber in die Hand. Er findet eine Ausbildung, als der Vater plötzlich und unerwartet verstirbt. Die Überforderung und Hilflosigkeit der Mutter entlädt sich in Vorwürfen an ihn, er hätte den Vater ins Grab gebracht.  Durch Arbeit kompensiert er die schmerzhaften Worte der Mutter. Er beschreibt, dass sein „innerer Kritiker ihn anpeitscht: „Mach´s perfekt!“ Hierdurch erhält er das Gefühl von Wirksamkeit, endlich selbständig erschaffen zu dürfen, Anerkennung zu erfahren und selber auch einmal Macht ausüben zu können. Nur ein Jahr später stirbt die Mutter an Krebs, seine Jugend endet abrupt. Er geht in die Verantwortung, auch für die überforderten Geschwister, und übernimmt das Zepter, kämpft! Diese Strategie hat er bis heute beibehalten, stets im kämpferischen Modus, die Gefühle weit weggepackt, die narzisstische Prägung etabliert. Seine Frau beschreibt heute, dass er sie, die Kinder und deren Bedürfnisse, Meinungen stets niedergebügelt hat. Die Familie ging in die Resignation, hatte aufgegeben, der Kampf gegen seine Dominanz erschien sinnlos.

Im Coaching erkennt er nun Parallelen zum Vater in seinem Leitsatz: „Ich weiß es immer besser“. Er hat das „Familien-Vater-Verhalten“ übernommen, ohne dies zu reflektieren, obschon er das seinerzeit verabscheut hat. Er selbst beschreibt sich als ein Getriebener, der endlich ankommen will, der Blick des „kleinen Jungen“ aus seinen Augen, untermalt dies deutlich. Sein Ziel ist es, seine narzisstischen Verhaltensweisen, die er als Jugendlicher als Abwehrmechanismus und Überlebensstrategie etabliert hat, abzulegen. Er möchte (wieder) lernen, zuzuhören, andere ausreden lassen, Situationen und Menschen abwartend auf sich zukommen zu lassen, andere Meinungen zuzulassen, Schwächen und Fehler anzuerkennen, eigene und die der Anderen. All dies war anfänglich für ihn schwer zu ertragen. Der innere „Kritiker“ peitschte ihn an, sofort zu handeln. Bloß nicht abwarten, bloß die Situation stets im Griff haben, immer schneller sein, als andere. Dann hat er Kontrolle und Einfluss, die ihm ein sicheres und vertrautes Gefühl geben. Seine Mittel der Wahl, um gegen das Gefühl der Ohnmacht und der Botschaft des Vaters „sei nicht“, entgegen zu wirken.

Es ist deutlich zu erkennen, wie frühe Blickwinkel von Kindern und Jugendlichen auf ihr Leben und was ihnen dort begegnet, sich zu Konditionierungen formen und stets das tun, was sie seinerzeit als Überlebensstrategien gewählt haben. Auch wenn sich bis heute eine Vielzahl neuer Erkenntnisse und Wissen angereicht haben, helfen ihm diese nicht, um dagegen anzugehen und erwachsen zu handeln. „Ich fühle mich wie ein Getriebener, ich möchte endlich ankommen“ und „Mach´s bloß immer richtig“, stehen hier exemplarisch für seinen Treiber und die Sehnsucht nach Anerkennung, Liebe, Individualisierung und Akzeptanz seines „So-Seins“.

„Wie konnte ich das nur zulassen, wie konnte ich das nur alles tun?“ Durch das Coaching erhält er viele Erkenntnisse (Psycho-Edukation), die er sofort reflektiert und verarbeitet. Er nimmt sich Zeit und schenkt dem ausreichend Raum. An aktuellen Situationen erkennt er, wie die Konditionierung mit dem langen Arm aus der Vergangenheit im Heute agiert und erarbeitet neue Strategien, was er ANDERS machen kann.

Die emotionale Arbeit wird ihm Erleichterung bringen und birgt die große Möglichkeit, seine alte Konditionierung auf den „aktuellen Stand“ zu bringen und somit umzuschreiben. Er kann lernen, dass „nur die eigene Anerkennung satt macht“, dass Eltern auch Menschen mit einer Geschichte sind, fehlerhaft sein können und nicht immer das geben konnten, was nötig gewesen wäre. Allmählich erkennt er erschrocken, dass er mit seinen Kindern auch dominant umgegangen ist, das Verhalten des Vaters adaptiert hat. Die Kinder erkennen die Entwicklung des Vaters und zeigen ihm nun auch wieder deutlich, was sie von ihm erwarten. Reibung entsteht, führt erst zu Frustration, dann aber zu positiver Entwicklung auf beiden Seiten. Wunderbar!

Er hat gelernt, dass er nun seine alte Strategie ablegen darf, um anzukommen und neue Verhaltensweisen sich etablieren dürfen, die ihn dahin führen, wo er hinkommen möchte. Ankommen bei sich selbst! Gelassenheit im Leben! Prioritäten neu zu überdenken! Loslassen und Zulassen! Die Erkenntnis, dass dauerhafte Kontrolle ihn von seinen Zielen eher wegtreibt, als ankommen lässt. Die innere Sicherheit, dass er geliebt wird, um seiner selbst Willen und nicht wegen seiner Leistungen und harten Führung. Er kommt und geht bei jeder Sitzung mit Offenheit, Begeisterung für den neuen Weg, hört immer besser zu, erträgt den Spiegel, der ihm vorgehalten wird. Er erkennt immer besser, wie er sich selbst in kleinsten Situationen anders verhalten kann. Wenn er die neuen Strategien ausprobiert hat, ist er stolz und berichtet stets davon.

Ich bin sehr berührt, dass er sich seiner Dominanz, im sympathischen Gewand verpackt, stellt. Es gibt wenig Menschen dieser Art, die den Mut aufbringen, sich der Vergangenheit zu stellen, „sich seelisch zu entblößen“ (wie er es beschreibt) und derart zügig Erkenntnisse zu erarbeiten und Änderung zuzulassen. Toll!